Einleitung

Die Wahl des Seitenverhältnis hat einen entscheidenden Einfluss auf die Bildwirkung. Ihr gehen jedoch mind. zwei Entscheidungen voraus, die einen höhren Einluss haben, die Wahl der Ausrichtung, Querformat oder Hochformat, sowie die Komposition und der Beschnitt (Crop). Ausrichtung, Komposition und Beschnitt werden für die folgende Betrachtung des Seitenverhältnis ausgeklammert.

Wer beim Seitenverhältnis auf völlige Freiheit und Individualität setzt, wird in sich in den folgenden Ausführungen vielleicht gestärkt fühlen weiter zu machen was er will. Der mir innewohnende Monk jedoch mag Abwechslung genauso wie Konsistenz oder einen roten Faden. Da ich Fotos gerne selber zu Papier bringe entscheidet zunächst das Motiv über die absolute Größe zur Präsentation an der Wand, dann jedoch muss ich sofort die Frage beantworten in welcher Größe ich das Foto auf das jeweilige Papier Standardformat drucke und wieviel Weißrand ich wähle.

Da unterschiedliche Seitenverhältnisse vorausgesetzt werden, möchte ich, dass eine Seite des Fotomotivs innerhalb einer Druckpapiergröße gleich bleibt. Es stellt sich die Frage, was besser geeignet ist, die Höhe oder die Breite?
Das gedruckte Foto muss final folgenden Verwendungen zugeführt werden, die wiederum bei den anstehenden Entscheidungen berücksichtigt werden sollen. Montage in einen Rahmen mit Passepartout und zusätzlich sichtbaren Weißrand um das Fotomotiv, hier bevorzuge ich umlaufend 2cm um eine Signatur unterzubringen ohne gequetscht zu wirken. Bei Rahmung ohne sichtbare Signatur kann ein Passepartout gewählt werden, dass einen umlaufend 2,5cm kleineren Ausschnitt hat, 2cm um den Weißraum und die Signatur zu verdecken und zusätzlich 5mm um bei der Montage und dem über die Zeit arbeitenden Papier etwas Spiel zu lassen und durchblitzende Weißränder zu verhindern. 
Eine weitere Verwendung sind Portfolio Drucke, die ebenfalls einen hohen Grad an Konsistenz erfordern, die Fotomotiv Größe, insbesondere die Breite und der Weißrand sind gleich zu halten. Eine weitere, jedoch untergeordnete Verwendung ist die quick & dirty Montage ohne Passepartout im A4 oder A3 Rahmen um sich an der Wand zu beweisen. Hier sollen ebenfalls alle Weißränder und Fotogrößen eine Konstante bilden.

Seitenverhältnis

Ich möchte an dieser Stelle keinen Geschichtsunterricht zur analogen Fotografie halten und die unzähligen Film-Kameraformate aufzählen. Das können andere besser und Du findest sicher schnell und ausreichend Quellen die meine Aussagen stützen oder zu kurz gefasst erscheinen lassen. Die Geschichte der Fotografie reicht lange zurück und alleine die letzten hundert Jahre haben durch die getroffenen Entscheidungen von Fotografen die Relevanz von einigen Seitenverhältnissen die Wahrnehmung bzw. Erwartung von Menschen geprägt. Ein Seitenverhältnis macht ein Motiv auf den ersten Blick glaubwürdig oder nicht. Die Änderung des Seitenverhältnis, ohne eine Änderung des relevanten Bildinhalts kann die Wirkung des Bildes verändern. Ich vermute, es liegt einfach daran, das diese Geschichte bereits lange besteht, in den Pionier Tagen war dies sicher nicht so. Es scheint also eine Rolle zu spielen wie oft ein bestimmtes Seitenverhältnis für bestimmte Motive oder Fotografiestile benutzt wurde. Über einen großen Zeitraum hatte Kleinbild und Mittelformat die größte Menge Veröffentlichungen zu verzeichnen, während Großformat eine Spezialrolle einnimmt. Ich habe mal aus Spaß Magnumfotos analysiert und kam auf folgendes Ergebnis: ca. 60% sind im Seitenverhältnis 3:2 (Kleinbild), ca. 20% sind in 4:3 (Mittelformat) und 20% sind im 1:1 Format. 
Fassen wir die analoge Welt zusammen sind zwei Seitenverhältnisse besonders relevant, 3:2 (1,5:1) und 4:3 (1,33:1).
In der Reportage und Streetfotografie dominierte das Kleinbild im 3:2 Seitenverhältnis.
In der Portrait und Architekturfotografie das Mittelformat 6×8 das mit 1,33:1 dem 4:3 Seitenverhältnis entspricht.
Natürlich sind das nur die zwei statistischen Verkaufsschlager, die wahre Schönheit spielt sich in den vielen anderen Spielarten ab, von denen ich ein paar erwähnen möchte. Das Mittelformat in 5:4 (1,25:1) oder 7:6 (1,167:1). Sowie die von Hilla und Bernd Becher verwendete Großformat Plattenkamera 13×18 (1,385:1).
Bevor wir uns im analogen klein-klein verlieren, merken wir uns 3:2 und. 4:3 und riskieren einen Blick auf die digitalen Sensoren. Die meisten Handys, der MFT Sensor und das Mittelformat haben ein natives Seitenverhältnis von 4:3. 
APS-C und Kleinbild/Vollformat hingegen sind nativ 3:2 und so schreiben diese beiden Platzhirsche 4:3 und 3:2 also weiterhin Geschichte.
Bevor wir uns ein paar Beispiele anschauen machen wir uns bewusst, dass wir mit der Wahl der Kamera bereits eine Wahl des Seitenverhältnis getroffen haben. Bei der Komposition schauen wir durch diesen Rahmen und berücksichtigen ihn bei der Bildgestaltung. Lohnt es sich nun vor dem Auslösen diese Entscheidung zu hinterfragen und vielleicht etwas mehr Raum zu lassen um das Seitenverhältnis nachträglich wählen zu können? 

Beispiel | Portrait Kunst

3:2

4:3

Anmerkung

4:3 sieht spontan irgendwie mehr nach Bild aus. Mir fehlt aber etwas vom Hut. Kann man den Hut erkennen wenn man die 3:2 Variante nicht gesehen hat?  Die Lichtreflexion auf dem Hut fehlt meinem Auge beim wandern bei der 4:3 Variante. Fazit: 4:3 ist das passendere Format für das Motiv, es fehlt der Originalaufnahme bzw. auch der abgebildeten Struktur aber rechts das passende Material um es größer croppen zu können. Tendenziel gewinnt aber 4:3 für den Motivtyp „Portrait“

3:2

4:3

5×4

7×6

Anmerkung

4:3 gewinnt sofort und unterstützt die übertriebe Angeberpose, jeder Leeraum wird genommen. Es ist per Default erstmal das konditioniertere Seitenverhältnis. 5×4 funktioniert genauso gut, aber wenn wir schon weitermachen, dann zeigt 7×6 was noch drin ist. Für mich fällt 5×4 damit erstmal als „irgendwas dazwischen“ raus, falls ich mal mit Randakzenten kämpfe komme ich auf dich zurück.

3:2

4:3

7×6

7×6 Edit

Anmerkung

3:2 gewinnt sofort es unterstützt das streben nach oben. 4:3 verhindert diesen Effekt und wirkt sogar beschnitten. Ohne eine Nachbearbeitung ist das Format 4:3 hier nicht umsetzbar. Da es nicht funktioniert ist eine weitere Untersuchung von 5×4 und 7×6 wie hier belegt unnötig. Die gezeigte quick & dirty Bearbeitung der 7×6 Variante zeigt, dass zwar das Motiv an das Format angepasst werden kann, es bleibt aber ein zu ruhiger Rahmen, das Motiv ist ruhig und 3:2 bringt die nötige Bewegung rein, mit absolut mittiger Rahmung und Passepartut kann diese Unruhe ausreichend gebrochen werden.

3:2

4:3

5×4

7×6

Anmerkung

Dieses sinnlose Experiment, das in 3:2 aufgezeichnet wurde gewinnt durch das Seitenverhältnis in 4:3 etwas an Wirkung. Der Hinweis lässt sich wiederum fortführen und in 7×6 zielführend beenden.

Beispiel | Architektur

3:2

4:3

Anmerkung

Auch hier gewinnt spontan das 4:3 Format für das Motiv, es wird mehr zum Bild. Mir fehlt aber oben etwas Raum, es wirkt abgeschnitten. Der zusätzliche Stretcheffekt der 3:2 Variante passt diesmal besser.

3:2

4:3

Anmerkung

4:3 ist hier der ganz klare Gewinner, die Kompressionswirkung des 90mm Objektivs wird durch einen noch näher wirkenden Himmel unterstützt. 

3:2

4:3

3:2

7×6

3:2

1:1

Anmerkung

Bei der 3:2 Variante sind die drei sich wiederholenden Proportionen der Fassade optimal um das Auge von links nach rechts entlang des Gebäudes in den Himmel führen. Wieder wirkt 4:3 etwas besser, das ich diesmal  „professioneller“ nennen würde, es wird inhaltlich genau so viel gezeigt und die Anmerkung zu 3:2 löst sich in Wohlgefallen auf. Bei 7:6 trifft mich ein Hammer, wow, genau das ist perfekt! 1:1 hingegen wirkt sehr stressig, es fehlt etwas, es ist nicht rund tut eher weh.

Beispiel | Street

3:2

4:3

5×4

7×6

Anmerkung

4:3 oder 7:6 wäre einzeln betrachten die passendere Wahl. Da das Foto Teil einer Serie ist hielt ich es für sinnvoll konsequent bei 3:2 zu bleiben, es funktioniert auch, wobei 7:6 wesentlich mehr Bild ist!

3:2

4:3

5×4

7:6

Anmerkung

3:2 ist eine entspannte Wahl, die Dynamik in den Raum der Straße und des Wagens bringt. Keine andere Variante bringt das rüber. 4:3 wäre akzeptabel aber ein Kompromiss. 5×4 und 7×6 scheiden aus, da sie zu beeng sind.

3:2

4:3

Anmerkung

3:2 ist auch hier die passendere Wahl.

3:2

4:3

5×4

7×6

Anmerkung

In einer Serie im 3:2 Format stellte ich auch hier das Format nicht in Frage. Die Änderung auf 4:3 gibt aber Hinweise auf bessere Alternativen. 7:6 wirkt ideal, warum weiß ich nicht, ich kenne das Format gar nicht persönlich, es scheint Teil eines kollektiven Geschitsgedächnis  zu sein.

3:2

4:3

1:1

7×6

Anmerkung

Das Motiv schreit nach 4:3 oder 7:6. Da links und rechts relativ schnell Ende ist mit dem was auf das Bild soll und die Blume im Vorgarten wichtig ist um mit der Blume hinter dem Fenster zu reden funktioniert hier nur 3:2, ich nehme aber mit, dass 4:3, wenn möglich, eine wahrhaftigere Bildwirkung hätte.

Beispiel | Landschaft

3:2

4:3

3:2

7×6

16:9

2,35:1 (ca.21:9)

Anmerkung

Die native 3:2 Variante ist schlüssig. Der Wechsel auf 4:3 zeigt, das es in die falsche Richtung geht, was von 7:6 bestätigt wird. Ich lerne, entweder diese Richtung funktioniert oder nicht. Wie steht es um die andere Richtung? 
Die beiden Varianten 16:9 und 21:9 sind kein Fleisch und kein Fisch für ein Foto. Ich vermute mein Auge erwartet ein Bewegtbild wenn es das konditionierte Seitenverhältnis aus Fernsehen und Kino unbewusst erkennt. Beide Varianten sind nicht die erste Wahl, 21:9 geht aber in die richtige Richtung.

65×24 (2,708:1) 

Analoge Fotofilm Spezialität

2,76:1 

Ultra Panavision 70
Analoge 70mm Kinospezialität

Anmerkung

Ultra Panavision 70 fasziniert mich seit Kindheitstagen wo bei Ben Hur und Meuterei auf der Bounty auf dem 50cm Fernseher zwar nicht viel zu erkennen war aber das Bildformat eine nachhaltig faszinierende Wirkung erzeugte. Beide Varianten, 65×24 (Fotografie) und Ultrapanavision 70 (Film) sind so nah beieinander, das sie meine Favoriten für Panoramafotos sind. Ich bilde mir ein, das mir 2,76:1 etwas besser gefällt als 2,708:1 aber hier wird das zuerst entdeckte vom Krokodilgehirn verteidigt. Entweder ich bleibe konsequent bei 2,76:1 oder ich wechsle konsequent auf den Fotostandard 2,708:1.

65×24 (2,708:1) 

Analoge Fotofilm Spezialität

3:1 

Panorama Empfehlung Lehrbuch

Anmerkung

Meine spontane Assoziation zu 3:1 lautet „Ikea“. Warum? wird hier wieder 2,7 verteidigt? Genauer betrachtet fehlt mir etwas Bildinformation in der Höhe, die Wolken wirken abgeschnitten, dafür bekomme ich etwas zu viel Breite für das Motiv. 3:1 und auch mehr kann für Spezialanwendungen funktionieren, meine erste Wahl wird es nicht.

Fazit

Wähle das Seitenverhältnis gezielt aus, es beeinflusst die Bildwirkung wesentlich. Wenn Du bei der Wahl des Bildausschnitts gerne völlig frei agierst, nimm doch mal den Taschenrechner und prüfe was Du gewählt hast, lohnt sich ggfls. die Anpassung auf ein nahe liegendes Standardformat?
In welchen fotografischen Stil passt Dein Motiv oder die Serie am ehesten?
Reportage und Street vertragen sich mit 3:2.
Architektur, Portrait und Kunst verlangen tendenziell eher nach 4:3.
Wenn Du von 3:2 kommend auf 4:3 wechselst und es funktioniert, probiere 7:6 oder 5:4 Du hast gute Chancen auf ein aufgeräumtes Bild.
Falls es nicht funktioniert und Du im Querformat bist, probiere es in die andere Richtung zum Panoramaformat in Richtung 2,7:1.

Auswahl attraktiver Seitenverhältnisse für Fotografien